WERKEN

Die meisten Menschen haben eine Erinnerung, wann sie begonnen haben mit dem Fotografieren, dem Kochen, Singen oder Kleidernähen. Sie wissen, dass etwas einen Anfang nahm und bestimmend wurde.
Ich selbst erinnere mich genau, wie ich ein Kind gewesen, einen Kaninchenstall gebaut habe. Unbeholfen mit einer zu großen Handsäge, gingen meine Sägeschnitte all zu weit weg vom Bleistiftstrich auf dem Brett. Ich ließ trotzdem nicht ab von meinem Plan, zwei übereinanderliegende Kaninchenställe zu bauen. Am Ende hatte ich es geschafft. Der Stall wurde in einem Schuppen aufgestellt und die Kaninchen zogen ein.

Mein Vater, ein Handwerker und Meister in seinem Fach, sah das recht gerne und war stolz auf die noch ungeschlachten Fähigkeiten seines Sohnes. Einige Jahre später lehrte er mich mit Metall zu arbeiten, zeigte mir verschiedene Techniken und Verfahren und so wurde ich ein Handwerker. Obschon es mir leicht fiel Dinge zu machen, verstand ich mein damaliges Tun vor allem als Arbeit. Mir war nicht bewusst, dass dies nur ein erster Umgang, nur eine Möglichkeit war, mit Material umzugehen. Es war für mich vor allem die Tätigkeit eines Berufes. Etwas das jemand benötigte, wurde möglichst rasch und fehlerfrei hergestellt. Vieles wurde nach technischen Zeichnungen gefertigt, ähnlich wie bei einer Musik die man vom Blatt spielt, allerdings ohne jedwede Freiheit der Interpretation. Mir missfiel diese Unfreiheit. Nichts konnte man einfach anders machen. Das Handwerk befolgt seine Regeln, man produziert Nutzgegenstände. Es sollte der Kunde zufrieden gestellt werden.
Mein Vater hatte stets ein kleines Büchlein mit kariertem Papier bei sich, oft das Werbegeschenk eines Lieferanten. Darin notierte er mit wenigen Bleistiftstrichen sowie einigen Zahlen, die Größe von Maueröffnungen, einen Treppenverlauf oder eine bauliche Situation. Er notierte also die Bedingungen für eine Tür, eine Treppe, ein Geländer oder wie eine Konstruktion erstellt werden sollte. Diese kargen Skizzen sollten genügen um etwas zu bauen, dass den Erwartungen der Auftraggeber entsprach. Nicht selten konnte man nach einigen Wochen nur noch ungefähr erahnen, was genau eigentlich ein Strich, ein Maß oder eine Winkelangabe bedeuten sollte. Doch wenigstens war man freier darin, wie die Sache aussehen durfte. Es konnte allerdings passieren, dass sich beim Einbau nicht alles so glatt wie erhofft fügte.
Ein nächstes Phänomen, die Abänderung einer Konstruktion, trat dann in Erscheinung. Sie konnte so elegant ausfallen, dass niemandem mehr der ursprüngliche Fehler auffiel. So geschah überzeugende Improvisation, Jazz feinster Art, bei der Abänderung banaler Gegenstände.
Obwohl alles an diesen Stahlkonstruktionen so starr und wenig veränderbar schien, stimmte dieser Eindruck nicht zwangsläufig. Sehr vieles konnte, manchmal mit erheblichem Aufwand, in einen anderen Zustand verwandelt werden.
Werken bedeutet einwirken.
Es machte natürlich absolut Sinn manche Dinge sehr konkret festzulegen, doch erst wenn auch das Gegenteil, die Überwindung der ursprünglichen Vorstellungen geleistet werden konnte, war jemand ein Meister.
Eine Skulptur ist eine materielle Manifestation, meistens ohne praktischen Bezug. Die Sache dient allein der Anschauung, nicht der Benutzung. Trotzdem benötigt ein Bildhauer, je nach Wahl des Materials oder künstlerischer Absicht, einiges Geschick im Umgang mit Werkzeugen oder Maschinen. Selbst wenn er andere eine Arbeit fertigen lässt, muss er wissen, was mit einem Material möglich ist und wie dies erreicht werden kann. Wann verlässt man das Werken?
Mit der Bildhauerei verlässt man das Werken. Man macht dabei etwas ohne Auftrag, ohne einen Gedanken an das Nützliche, und probiert Gebilde, Varianten von Gegenständen aus, deren Bedeutungen unklar sind. Im besten Fall baut man etwas das auf einen selbst oder andere, wie ein Rätsel, wie eine Frage zurückblickt. Und was macht solche Gegenstände, Skulpturen, Plastiken zu einer gelungenen Sache?
Es ist abhängig von Absichten und Personen, doch indem man ein scheinbar sinnloses Ding produziert, begreift man sehr viel, womöglich zuerst, wie wenig Gewissheit es bei künstlerischer Arbeit gibt.